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Christen zweiter Klasse?

· Autor: Thomas · Lesezeit: ca. 4 Min.

Unser Glaube beruht auf einer persönlichen Entscheidung. Anders als im Judentum zählt nicht die Abstammung. Dennoch gibt es Christen, die in einem gläubigen Elternhaus aufgewachsen sind, und solche, die später zum Glauben gefunden haben. Beide haben Frieden in Jesus.

Bei einigen Bibelstellen ist es einfach, den Bezug zum heutigen Leben zu erkennen, bei anderen schwieriger. In seinem Brief an die christliche Gemeinde in Ephesus bespricht der Apostel Paulus unter anderem die Frage, wie Judenchristen und Heidenchristen gemeinsam ihren Glauben leben können. Welche Botschaft kann uns dieser Text für heute mitgeben?

Geschichte

Ephesus war zur Zeit von Paulus eine wichtige Hafenstadt, in der Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen lebten. Als Judenchristen werden die Christen bezeichnet, die den jüdischen Glauben lebten, bevor sie Jesus als Retter annahmen. Alle anderen Christen werden unter dem Begriff Heidenchristen zusammengefasst, zum Beispiel solche, die vorher eine esoterische Spiritualität praktizierten.

Anders als im historischen Ephesus haben wir hier in Deutschland heutzutage nicht die Situation, dass sich ein Apostel mit den Juden in der örtlichen Synagoge unterhält und einige Monate später ein guter Teil von ihnen in den christlichen Gottesdienst kommt. Das Christentum ist als eigenständige Religion so weit etabliert, dass sich auch nicht mehr die Frage stellt, ob Nichtjuden überhaupt Christen werden können.

Im orthodoxen Judentum gilt ein Mensch als Jude, wenn er von einer Mutter geboren wurde, die selbst Jüdin war. Die Zugehörigkeit zum Judentum richtet sich also in erster Linie nach der familiären Abstammung. Im Christentum gibt es diese “Vererbung” nicht. Als Christ gilt, wer Jesus Christus persönlich im Glauben als seinen Retter angenommen hat – also eine bewusste Entscheidung getroffen hat.

(Zum Weiterlesen: Johannes 1,11-13)

Herkunft

Trotzdem können wir den Epheserbrief einmal zum Anlass nehmen, um über die Bedeutung der familiären Abstammung für den christlichen Glauben nachzudenken. Die Juden, mit denen Paulus in der Synagoge von Ephesus diskutierte, waren bereits Experten für Glaubensfragen. Sie kannten Gott durch die Aufzeichnungen aus dem Alten Testament und konnten alle Begebenheiten und Gebote erklären, die darin vorkommen.

Hier sehe ich eine Parallele von den damaligen Judenchristen zu unserer Zeit: Einige heutige Christen sind bereits in einem christlich gläubigen Elternhaus aufgewachsen. Nicht nur Pfarrerskinder, sondern alle, deren Eltern den christlichen Glauben begeistert leben, haben das Wissen über biblische Geschichten, die sozialen Normen im christlichen Umfeld praktisch mit der Muttermilch aufgesogen.

Mit dem Wissen kommen aber auch die Erwartungen – da man weiß, wie es “richtig” geht, erwarten andere und vielleicht auch man selbst von einem, ein möglichst “guter” Christ zu sein. Manch einer mag sich die Frage stellen, ob sein Glaube überhaupt “echt” oder nur eine übernommene Familientradition ist – denn durch die schon früh christliche Prägung gibt es vielleicht gar keinen konkreten Zeitpunkt, von dem man sagen könnte, dass man zu diesem Christ geworden wäre.

Des Weiteren gibt es andere Christen, die man mit den Heidenchristen vergleichen könnte: Vielleicht spielte in ihrer Familie der Glaube an Gott bisher überhaupt keine Rolle oder es wurde eine ganz andere, nicht christliche Religion oder Spiritualität gelebt. Den ersten Kontakt mit authentischem christlichem Glauben hatte man als Jugendlicher oder erst im späteren Erwachsenenalter, vielleicht bei einer Lebenskrise, welche die Frage nach dem Sinn des Lebens neu geweckt hatte.

Man kann dann vielleicht eine aufregende Lebensgeschichte zu erzählen, wie Gott einen zum Glauben geführt hat, und mancher Christ, der in einem behüteten christlichen Elternhaus aufgewachsen ist, beneidet einen darum. Andererseits kennt man selbst viele Feinheiten des christlichen Glaubens (noch) nicht und kann nicht mitreden, wenn andere über ihre Erlebnisse aus der Jungschar oder von Jugendfreizeiten sprechen.

Einheit

Auch im heutigen Christentum gibt es also zwei Gruppen von Christen, die – abhängig von ihrer Abstammung – mit unterschiedlichen Voraussetzungen zum christlichen Glauben gekommen sind. Ich finde, auch wenn wir nicht mehr die Judenchristen und Heidenchristen von vor 2000 Jahren sind, dass wir die Aussagen von Paulus in seinem Brief an die Epheser als Trost für uns heute verstehen können.

Paulus macht deutlich, dass Jesus für beide Gruppen von Christen den Weg zu Gott, unserem himmlischen Vater, frei gemacht hat – sowohl denen, die Gott durch ihre Abstammung schon immer “näher” gewesen sind, als auch denen, die ihn vor ihrer Bekehrung noch gar nicht gekannt haben und deshalb “weiter entfernt” von ihm gewesen sind. Beide Gruppen haben Frieden mit Gott:

Und er ist gekommen, die gute Nachricht zu verkünden: Frieden euch, den Fernen, und Frieden den Nahen. Denn durch ihn haben wir – in einem Geist – beide den Zugang zum Vater.

(Epheser 2,17-18)

Um die geistliche Einheit zwischen uns Christen zu veranschaulichen, gebraucht Paulus auch das Bild eines Zaunes, der als Trennung zwischen zwei Grundstücken stand, und den Jesus nun durch seinen Tod am Kreuz symbolisch niedergerissen hat. Paulus lässt keinen Zweifel daran, dass alle, die an Jesus glauben, zur gleichen geistlichen Familie gehören – alle stehen nun auf der gleichen Grundlage, ohne Unterschied.

Hierbei ist Jesus unser Grundstein, auf den alles aufgebaut ist. Paulus vergleicht die Gemeinschaft der Christen mit einzelnen Bausteinen, die zu einem heiligen Tempel zusammenwachsen. Wie auch beim Bild des Körpers im Korintherbrief kann man sich hier gut vorstellen, dass jedes Einzelteil für die Funktion und das Aussehen des fertigen Tempels von großer Bedeutung ist.

Ein einfacher Stein in der Mauer ist vielleicht nicht besonders anzusehen, aber er ist unersetzlich, um die Stabilität des Bauwerks zu gewährleisten. Eine kunstvolle Blumenschnitzerei an der Wand ist dagegen eine schöne Verzierung, aber ohne das Mauerwerk hätte sie keinen Platz, an dem sie zur Geltung kommen könnte. Genauso können auch wir uns sicher sein, dass Gott uns mit unseren individuellen Eigenschaften am richtigen Ort seines Tempels gebraucht.

(Zum Weiterlesen: Apostelgeschichte 19,8-22; 1. Korinther 12,12-27; Epheser 2,11-22; 1. Petrus 2,1-10)